Kriminalwissenschaftliches Institut Forschung
Effektivität kriminalpräventiver Maßnahmen im Gesundheitswesen

Effektivität kriminalpräventiver Maßnahmen im Gesundheitswesen

© Juristische Fakultät Hannover
Leitung:  Angelika Reinelt-Broll
Jahr:  2016
Förderung:  Landesmittel
Laufzeit:  09/2016 - 02/2020
Ist abgeschlossen:  ja

Das Projekt: Effektivität kriminalpräventiver Maßnahmen im Gesundheitswesen

Um der Wirtschaftskriminalität im Gesundheitswesen entgegenzuwirken, wurden alle Gesetzlichen Krankenkassen und Kassen(zahn)ärztlichen Vereinigungen in den §§ 81a I 1 und 197a I 1 SGB V zum 01.01.2004 dazu verpflichtet, sog. Stellen zur Bekämpfung von Fehlverhalten im Gesundheitswesen zu errichten. Diese organisatorischen Kontrolleinheiten sollen etwaige bestehende Gelegenheiten zur Begehung rechtswidriger, möglicherweise strafrechtlich relevanter Handlungen durch eine vertiefte Kontrolle von Verdachtsmomenten schließen und rechtswidrig ausgezahlte Gelder konsequent zurückführen. Damit sollen ein effizienter Einsatz von Finanzmitteln im Krankenversicherungsbereich gestärkt und eine systeminterne Selbstreinigung gefördert werden. Ob und inwieweit die Kontrollstellen zur Bekämpfung von Fehlverhalten tatsächlich einen Beitrag leisten, war bislang nicht bekannt.   

Forschungsziele

Ziel der Untersuchung war die Ermittlung, ob von der Tätigkeit der Fehlverhaltensbekämpfungsstellen nach § 197a SGB V der 110 zum Untersuchungszeitpunkt existierenden Gesetzlichen Krankenkassen unter Realbedingungen tatsächlich sowohl kriminalpräventive als auch ökonomische Wirkungen ausgehen, nachdem dies in der einschlägigen Forschungsliteratur zum Teil erheblich in Zweifel gezogen wurde. Ggf. sollte beschrieben werden, welche organisatorischen und prozessualen Faktoren im Konkreten für eine etwaige Wirkung verantwortlich sind.

Methoden

Es wurden zwei unterschiedliche Zugänge zum Untersuchungsfeld gewählt: Die statistische Auswertung basierte einerseits auf einer schriftlichen, standardisierten Befragung der Leiter der jeweiligen Fehlverhaltensbekämpfungsstellen und andererseits auf der Analyse der von ihnen verfassten Tätigkeitsberichte aus den Jahren 2004/05, 2014/15 und 2016/17. Der Datensatz umfasste letztlich die Informationen aus 33 vollständig ausgefüllten Fragebögen und 184 Tätigkeitsberichten.

Ergebnisse

Zentrales Ergebnis der empirischen Bewertung der Effektivität der Tätigkeit der Fehlverhaltensbekämpfungsstellen ist die Erkenntnis, dass in vielerlei Hinsicht Anzeichen dafür vorlagen, dass ihre Kontrolltätigkeit tatsächlich zu einer Erhellung des Dunkelfeldes für die Krankenkassen und die Strafverfolgungsbehörden im Sinne eines vermehrten Entdeckens von Fehlverhaltensfällen sowie zu einer verstärkten Rückforderung entstandener Vermögensschäden führte. Dies ergab sich sowohl aus einem Vergleich der erzielten Arbeitsergebnisse der Fehlverhaltensbekämpfungsstellen untereinander als auch der Betrachtung dieser zu verschiedenen Messzeitpunkten.

Im Einzelnen wurden vor dem Hintergrund, dass verschiedene, ähnlich angelegte Untersuchungen zur Effektivität unternehmensinterner Kriminalprävention ergaben, dass das Ausmaß korruptionsbekämpfender Maßnahmen von der Unternehmensgröße abhängt und dies auch der Selbstauskunft der Fehlverhaltensbekämpfungsstellen entsprach, die § 197a SGB V – Stellen aufgrund ihrer flächendeckenden Einführung zur Ermöglichung einer vergleichenden Analyse auch in dieser Forschungsarbeit anhand der Anzahl der jeweils betreuten Mitglieder in stärker und schwächer implementierte Einheiten unterteilt.

Im Vergleich von stärker zu schwächer aufgestellten Fehlverhaltensbekämpfungsstellen wiesen Erstere eine deutlich höhere Verfolgungs-, Aufklärungs-, Strafverfolgungs- und Vermögensrückführungsquote auf als schwächer aufgestellte Einheiten. Die Verfolgungsquote war bei stärker aufgestellten Einheiten etwa doppelt so hoch, die Aufklärungsquote knapp dreimal so hoch, die Strafverfolgungswahrscheinlichkeit sodann fünfmal so hoch und die Vermögensrückführungsquote sogar 5,5-mal so hoch wie bei schwächer aufgestellten Kontrolleinheiten.

Eine Ursachenanalyse ergab für stärker aufgestellte Fehlverhaltensbekämpfungsstellen auf organisatorischer und prozessualer Ebene deutliche Unterschiede im Vergleich zu schwächer aufgestellten:

  • Sie hatten häufiger Meldesysteme eingerichtet, die eine anonyme Verdachtsmeldung Externer über das Internet zuließen. Gleichzeitig machten sie auf das Bestehen dieser Kommunikationskanäle im Internet häufiger aufmerksam.
  • Sie gingen häufiger proaktiv vor und suchten eigeninitiativ nach Abrechnungsauffälligkeiten.
  • Ihre Mitarbeiter bearbeiteten einen Fall häufiger im Team.
  • Für die Mitarbeiter wurden häufiger Weiterbildungsmaßnahmen angeboten.
  • Sie leiteten häufiger kassenartintern und kassenartübergreifend Verdachtsmitteilungen weiter und übermittelten gleichzeitig entsprechend notwendige Daten. Es existierten zudem häufiger Kooperationsverträge mit anderen Kassen.
  • Sie tauschten häufiger sowohl fallbezogen als auch einzelfallunabhängig Informationen und Erfahrungen mit den Strafverfolgungsbehörden aus.

Aber auch die vergleichende Betrachtung der Gesamtergebnisse schwächer und stärker implementierter Fehlverhaltensbekämpfungsstellen zwischen dem Zeitpunkt der Einführung und dem Berichtszeitraum 2016/17 zeigte Anstiege der Entdeckungs-, Verfolgungs-, Aufklärungs-, Strafverfolgungs- und Vermögensrückführungsquote.

Schlussfolgerungen

Aus der Untersuchung leiteten sich die nachfolgenden Schlussfolgerungen für die Präventionsforschung und -praxis ab:

  • Ausdrückliche gesetzliche Verankerung eines proaktiven Vorgehens der Fehlverhaltensbekämpfungsstellen
  • Mehr Öffentlichkeitsarbeit insbesondere durch die Fehlverhaltensbekämpfungsstellen und die kassenartübergreifende Einrichtung von anonymen Hinweisgebersystemen und die Verbesserung des Schutzes von Hinweisgebern
  • Die flächendeckende Einrichtung von Schwerpunktstaatsanwaltschaften
  • „Null-Toleranz-Politik“ – häufigere Anwendung von Sanktionierungsmaßnahmen
  • Gleiche Beteiligung der Kassen an der Fehlverhaltensbekämpfung

Publikationen

Angelika Reinelt-Broll
Kriminalpräventive Maßnahmen zur Bekämpfung von Fehlverhalten im Gesundheitswesen. Eine empirische Analyse ihrer Effektivität am Beispiel der Fehlverhaltensbekämpfungsstellen der Gesetzlichen Krankenkassen nach § 197a SGB V. Baden-Baden, 2021.